Eines unserer Partnerunternehmen ist ist Bain & Company und wir hatten das Vergnügen, Dr. Karen Neuhaus zu den Themen Mentoring, Karriere und vielem mehr zu interviewen.
Liebe Karen, du bist Partnerin in einer der weltweit größten Unternehmensberatungen und damit sicher ein Vorbild für viele Frauen. Erzähle uns doch ein bisschen von deinem Karriereweg.
Es ist nicht so, dass es schon immer mein Ziel gewesen wäre, Partnerin in der Strategieberatung zu werden. Ich habe ganz klassisch internationale BWL studiert. International, weil ich schon immer unterschiedliche Kulturen und Sprachen kennenlernen wollte. Ich wollte hinaus in die Welt, da ich aus einer Kleinstadt komme. Deshalb habe ich gleich nach dem Abitur ein Jahr in Japan verbracht. Ich bin 19 Jahre in einem Umfeld mit bestimmten Denkweisen aufgewachsen. Es hat mich fasziniert zu sehen, wie unterschiedlich die Sichtweisen der Menschen woanders sind. Während des Studiums war ich schließlich lange Zeit in Frankreich und den USA und habe einen doppelten deutsch-amerikanischen Abschluss.
Zunächst wollte ich nach dem Studium zu einem großen Konsumgüter-Konzern, weil mir dort angeboten wurde, im Ausland zu arbeiten. Allerdings sammelten all meine Studienkolleg*innen irgendwann Erfahrung im Beratungsumfeld, sodass ich mir das auch ansehen wollte. Ursprünglich mit dem Plan, danach sagen zu können, dass Beratung einfach nichts für mich sei. Also habe ich mich bei Bain beworben und kam total begeistert und fasziniert aus meinem ersten Interviewtag. Insbesondere die Case Interviews haben mir viel Spaß gemacht und auch die Leute im Team fand ich sehr sympathisch. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in diesem Umfeld super weiterentwickeln und mir von meinen zukünftigen Kolleg*innen sehr viel abschauen konnte.
Ich war natürlich nicht sicher, ob alle in der Firma so einen beeindruckenden Spirit hatten, wie die Bainies, die ich in meinen Gesprächen kennenlernen durfte. Aber ich bin dennoch mit einem sehr guten Gefühl gestartet und nun seit 22 Jahren in der Beratung tätig.
Was magst du an der Beratung besonders?
Ich liebe es, komplexe Problemstellungen für Kund*innen zu knacken. Mich faszinieren Themen, deren Lösung nicht offensichtlich auf der Hand liegt — die entweder inhaltlich oder auch politisch kompliziert sind. Vom ersten Tag an gefiel mir die Arbeit mit immer wieder neuen Menschen in unterschiedlichen Kontexten. Das muss man mögen, denn es fühlt sich häufig so an, als wären die neuen Schuhe immer ein Stückchen zu groß und man lebt ein bisschen außerhalb der eigenen Komfortzone. Das ist sowohl das Positive als auch die Anstrengung an diesem Job. Allerdings wird es mit jedem Mal, mit dem du eine Herausforderung meisterst, einfacher und du entwickelst dich enorm schnell weiter.
Außerdem geht es um Themen, welche die Welt und die Unternehmen wirklich beschäftigen. Die, die auf der Titelseite des Handelsblatts stehen. Du bist immer auf der Höhe der Zeit. Das liebe ich an diesem Job. Es ist nie langweilig und jede Branche hat ihre eigenen interessanten Fragestellungen.
Hast du eine Lieblingsbranche?
An sich habe ich keine Lieblingsbranche, aber der Versicherungsbereich ist mir sehr ans Herz gewachsen. Das hätte ich zunächst auch nicht gedacht, da mir alles als nicht wirklich greifbar erschien. Ich komme aus einer Unternehmerfamilie – meine Eltern hatten ein Betonwerk. Ich mag eigentlich eher Dinge, die man anfassen kann. Aber die Fragestellungen im Versicherungswesen finde ich einfach äußerst interessant.
Im Laufe meiner Zeit bei Bain habe ich mich auf das Thema Customer Experience fokussiert, d. h. ich beschäftige mich viel damit, wie sich Unternehmen möglichst kundenzentriert aufstellen können. Heute bin ich Teil unseres Innovation & Design Teams und beschäftige mich hauptsächlich mit digitalen Lösungen. Hier habe ich unabhängig von Branchen meine echte Passion gefunden.
Das klingt sehr anspruchsvoll und auch herausfordernd. Hast du daher einen Rat, was man auf jeden Fall mitbringen sollte und wie man herausfindet, ob Beratung zu einem passt?
Das ständige Lernen und die stets neuen Herausforderungen muss man einfach mögen. Man sollte definitiv Bereitschaft zum Reisen und den Willen, immer wieder mit neuen Leuten zu arbeiten, mitbringen.
Neugier ist ebenfalls eine ganz wichtige Grundeigenschaft, die man haben sollte. Dinge verstehen und hinterfragen zu wollen sowie Spaß an der Lösung komplexer Fragestellungen zu haben. Das Anforderungsprofil an den Job verschiebt sich im Laufe der Karriere aber auch noch: Anfangs stehen vor allem analytische Methoden im Fokus, mit der Zeit rückt immer mehr auch die Teamverantwortung in den Vordergrund. Man sollte Menschen motivieren, fördern und überzeugen sowie gut mit unterschiedlichen Akteur*innen aus aller Welt umgehen können.
Welche fachlichen Hintergründe sollten Bewerber*innen mitbringen?
Wir suchen in der Beratung tatsächlich Leute mit unterschiedlichen fachlichen und persönlichen Hintergründen. Diversität wird bei uns großgeschrieben. Man benötigt nicht das klassische BWL-Studium, sondern wir suchen ganz bewusst Mitarbeitende mit unterschiedlichen Perspektiven, Erfahrungen und Stärken, da unsere Teams davon enorm profitieren.
Ein wichtiger Bestandteil unseres Jobs — und da sehe ich auch die Parallele zu eurer Arbeit bei MentorMe — ist es, Menschen bei ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen und zu fördern. Wir sind ein absolutes People Business. Die Weitergabe von Wissen und Expertise ist Teil unserer täglichen Arbeit.
Also Mentoring? Was sind deine Gedanken zum Thema Mentoring und hattest du selbst schon Mentor*innen?
Ja, ganz viele! Bei Bain ist Mentoring Teil des Arbeitsalltags – vom Onboarding bis hin zu Senior-Leveln. Daher habe ich auch heute noch Mentor*innen und Mentees.
Ich hatte ganz viele Mentor*innen, die mich in meiner Laufbahn begleitet haben. Denn jede*r Mentor*in hat unterschiedliche Themen und Stärken und ich glaube nicht, dass ein*e Mentor*in alles abdecken kann. Über die Jahre hinweg habe ich mir ein ganzes Netzwerk an Mentor*innen aufgebaut.
Also wie bei Freundschaften?
Ganz genau. Ich schaue mir von jeder Person etwas anderes ab und jede Person holt auch eine andere Seite und Facette aus einem heraus. Häufig lerne ich insbesondere aus dem Scheitern oder den nicht so erfolgreichen Geschichten meiner Mentor*innen.
Es ist wie ein Puzzle, das sich aus vielen Bausteinen zusammensetzt, aber am Ende muss man doch seinen eigenen Weg finden. Es geht nie um konkrete Ratschläge, sondern eher um den Erfahrungsaustausch. Manche Geschichten machen auch erst viel später oder im Nachhinein Sinn, wenn ich selbst eine bestimmte Erfahrung gemacht habe.
Wichtig war für mich auch die Erkenntnis, dass nicht alles auf einmal passieren muss. Ich kenne niemanden, der einen ganz geraden Karriereweg hingelegt hat, jede*r hat mal eine Zeit und eine Wegstrecke, die holprig war. Nicht alle reden darüber, aber genau das finde ich wichtig. Offenheit ist für mich das Wichtigste an einer/einem Mentor*in. Inzwischen bin ich auch etwas von dem klassischen Mentor*innen Bild — jemand, der oder die älter ist und mehr Erfahrung hat — abgewichen. Wichtig sind auch hier Diversität sowie individuelle Erfahrungen. Manchmal ist Mentoring auch einfach Zuhören und der/dem Mentee Raum geben. Laut denken dürfen hilft oft schon!
Manchmal glaube ich sogar, dass, je unterschiedlicher Mentor*in und Mentee sind, desto fruchtbarer ist der Austausch. Es mir schon häufig passiert, dass mich Menschen mit einem anderen Hintergrund und Weltbild auf neue Gedanken und Lösungen gebracht haben. Wir tragen alle so viele Annahmen und Vorstellungen in uns, dass es manchmal guttut, wenn diese von jemanden mit einer anderen Denkweise aufgebrochen werden. Man mag für das ideale Matching oft das Naheliegende suchen, aber oft liegt die Lösung im weiter Entfernten.
Das beste Mentoring ist für mich, die richtige Frage zu stellen, aber nicht die Antwort zu geben. Am Ende muss jede*r seine eigene Antwort finden und seinen/ihren eigenen Weg gehen.
Welche Gedanken hast du zu Female Empowerment?
Ich denke Männer und Frauen haben meist doch sehr ähnliche Probleme. Aber ich denke auch, dass man Frauen noch häufiger sagen muss, sich selbst zu vertrauen, auf sich selbst zu hören und den eigenen Weg zu gehen — unabhängig davon, was andere davon halten. Bei Frauen fällt mir vor allem auf, dass wir sehr lange allen gefallen möchten und relativ viel Wert darauflegen, was andere von uns denken. Das behindert uns oft. Das war eine meiner großen Erkenntnisse. Irgendwann kommt man sowieso an den Punkt, an dem man es nicht mehr allen recht machen kann.
Lerne auch zu akzeptieren, dass es niemals perfekt ist. Wir müssen uns von diesem hohen Perfektionsanspruch frei machen. Spätestens als ich Mutter wurde, musste ich mich von diesem Anspruch lösen, weil vor allem mit Kind nicht immer alles planbar ist.
Man muss wirklich den Mut haben, Entscheidungen umzusetzen, die die Außenwelt vielleicht absolut nicht nachvollziehen kann. Einfach ist es nicht, aber es lohnt sich!
Hast du noch einen letzten guten Rat, den du unseren Leser*innen gerne mitgeben möchtest?
Ich ermutige gerne immer alle darin, nicht so sehr auf ihren formalen Lebenslauf zu achten. Euer Lebenslauf ist eine Reflexion eures Lebens, aber ihr solltet euer Leben nicht eurem Lebenslauf unterordnen!
Eigentlich bin ich eine sehr rationale Person, die gerne Pro- und Kontra-Listen macht, aber am Ende des Tages ist vieles doch eine Bauchentscheidung. Bei Entscheidungen würde ich mir zunächst immer die Frage stellen, was gibt mir Energie und was zieht mir Energie? Was macht mir Spaß und wo liegt meine Leidenschaft und genau dem würde ich dann nachgehen.
Danke, liebe Karen, für dieses tolle Interview. Ich hatte mir Unternehmensberatung als Laie immer sehr viel „trockener“ vorgestellt.
Ich freue mich, wenn ich dich am Ende davon überzeugen konnte, dass unser Job gar nicht so trocken ist, wie du und vielleicht auch andere dachten. Das Interview hat mir super viel Spaß gemacht!
Vielen Dank für deine Zeit und deine Offenheit!
Weitere Interviews mit anderen spannenden Persönlichkeiten aus der MentorMe-Community findest du in unserem Blog. Viel Spaß beim Eintauchen in das, was uns besonders macht.