Die Vorstellung, was Karriere eigentlich ist, ist ja ganz individuell, kann sich beliebig wandeln – noch dazu wenn man aus einem Familienbetrieb stammt wie unsere Interviewpartnerin Dr. Johanna Dahm, MentorMe-Mentorin, Unternehmerin, Beraterin und Entscheidungsexpertin und LinkedIn-Trainerin. Mit ihr sprechen wir über die verschiedenen Bedeutungen von Karriere und Mentoring als Strategie, die eigene Definition der Karrierefindung und einer Methode, diese dann auch zu verfolgen. 

Im Gespräch ist uns aufgefallen, dass wir zwar alle von einem gemeinsamen Verständnis des Karrierebegriffs und damit derselben Bedeutung von Karriere ausgehen. Johanna zeigt uns an ihrer eigenen Vita, dass sie bereits der Karrierevorstellung ihrer Eltern gar nicht entsprach. Die daraus folgenden Entscheidungen brachten nicht nur viele Turbulenzen mit sich, sondern auch die Notwendigkeit, sich außerhalb der Familie ganz neue Ansprechpartner und Förderer zu suchen. Rückblickend würde Johanna diese durchaus als Mentor*innen bezeichnen, denn sie haben ihr dabei geholfen, die richtigen Fragen zu stellen, Möglichkeiten und Richtungen für sich selbst auszuloten und sich dynamische Ziele zu setzen, für die sie sich eben außerhalb der Familie neue Vorbilder suchen musste.

Warum sind dir Entscheidungen wichtiger als Karriere, und warum plädierst du sogar für „dynamische Ziele“?

Ich stamme aus einem strengen Elternhaus, das die beruflichen Ziele und damit die Karrierewege vorgab: Meine Eltern hatten den Medizinbetrieb des Großvaters übernommen, so wie dieser bereits von dessen Vater. Somit lag auf der Hand: Ich würde Medizin studieren und als Nachfolgerin einsteigen. Doch schon als Kind war ich anders: musisch, tänzerisch und literarisch veranlagt. Ich liebte psychologische Gedankenspiele und benannte meine Haustiere nach Krimifiguren. Mein Vater wollte mich also heranziehen, nahm mich in den Ferien und an den Wochenenden mit in die Praxis, ich musste bei kleineren Eingriffen assistieren, das Labor aufräumen, sogar mit an die Außen-Standorte. Doch ich mochte schon die Gerüche von Chemikalien nicht und auch nicht die ganzen Spritzen, Tuben, Prothesen usw.

Als wir in der Schule einen Aufsatz über unser Elternhaus anfertigen sollte, nahm mich mein Deutschlehrer beiseite, mit dem ich seitdem regelmäßig Pausengespräche führte. Offenbar hatte er meinen Missmut gegenüber der geplanten Zukunft einerseits, meine Auffassungsgabe von menschlichen Motiven, Organisationen und Zusammenhängen andererseits erkannt. Und in diesen Pausengesprächen forderte er mich mit Fragen: „Wo willst DU hin – was willst DU machen?“ und erzählte mir von verschiedenen Berufsfeldern, später Studiengängen. Er förderte mich, indem er mir eine Welt eröffnete, die ich gar nicht kannte. Also habe ich mich mit frischem Führerschein ins Auto gesetzt, bin an die nächste Uni gefahren und habe mir alle Fakultäten angeschaut, nur nicht die für Medizin. Meine Wahl fiel auf Kultur-, Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftsphilosophie. Das war das erste Mal, dass ich tatsächlich Ja zu mir und Nein zu meinen Eltern gesagt habe. Ein enorm wichtiger Schritt für mein ganzes Leben.

Was empfiehlst du, wenn Menschen vor schweren Entscheidungen stehen?

Entscheidungen sind generell immer Stress pur für jeden Menschen, weil wir quasi auf „Regelbetrieb“ programmiert sind. Steht eine Entscheidung an, greift der Körper auf den gespeicherten Erfahrungsschatz zurück, der ja oft als „Intuition“ oder Bauchgefühl und damit als Eingebung missverstanden wird. In Wirklichkeit handelt es sich um nichts anderes als eine Sammlung bereits gemachter oder ähnlicher Erfahrungen, die automatisch mit der jetzt anstehenden Herausforderung abgeglichen werden. Finden wir ein Muster, entscheiden wir gemäß der Erfahrung, finden wir keins, sind wir unentschieden. Genau dahingehend hat mir mein Lehrer sehr geholfen, weil er meinen nicht vorhandenen Erfahrungshorizont um seinen ergänzt hat. Im strukturierten Mentoring sehe ich das als eine der wichtigsten Aufgaben: Erfahrungshorizonte zusammenzuführen und Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen. Ich habe bis heute meine Mentorinnen und Mentoren für verschiedene Themen, selbst wenn ich selbst als Mentorin agiere. Und wir alle geben Unterstützung und Ratschläge, z. B. in beruflicher Richtung – und da gibt es oft keinen Königsweg: Kind oder Karriere, Eltern selbst pflegen oder in ein Pflegeheim geben etc. – all das sind die schweren Entscheidungen des Lebens, für die es Lösungen gibt, aber eben keine optimalen. Und ich warne davor, diese Themen rein betriebswirtschaftlich zu durchdenken, die eigene Moral ist es, die uns nachts nicht schlafen lässt – nicht ein paar Euro mehr oder weniger auf dem Konto.

Welche Rolle spielt Mentoring nun für deine eigenen Karriereentscheidungen?

Bis heute bin ich selbst ein großer Fan von Mentoring und führe sicher mehrmals pro Woche wichtige Gespräche mit erfahrenen Menschen, das können Freunde sein, aber vor allem Ratgeberinnen und Kollegen. Ich habe auch Berater, deren Perspektiven und Impulse ich einfach schätze. Vor allem als Unternehmerin und vor Investitionen, oder wenn es um die Erschließung neuer Zielgruppen und neuer Themen geht: die Entscheidung treffe ich zwar selbst, nie aber ohne vollumfängliche Information und Beratung durch mein Netzwerk.

Wann hast du dich entschieden, selbst Mentorin zu werden?

Als ich Führungskraft in einer großen Management Beratung war, zeigte sich, dass es beim hauseigenen Mentoring-Programm Entwicklungspotenzial gab. Wir hatten über das Feedback der Mentees erfahren, dass wohl nicht überall die Rollen geklärt waren, teils waren Ziele, teils Prozesse nicht optimal geklärt. Manche wünschten sich einen strukturierteren, manche einen lockeren Rahmen usw. Zur Überarbeitung des Programms als „Mentor of Mentors“ kam ich eher zufällig, aber ich hatte Spaß daran, Führungskräfte zu begleiten. Zumal die ja wirklich ihr Bestes geben wollen. Später in der Industrie habe ich dann Executives in Mentoring-Programmen begleitet, und bis heute ist das für mich immer wieder eine große Freude. Vielleicht weil ich so neugierig auf Menschen bin, sie gern erfolgreich sehe und an individuelle Karrierewege glaube statt an vorgegebene Pfade.

In meiner Ausbildung zum Systemischen Coach und Berater sowie zum Executive Business Coach habe ich dann selbst nochmals viel dazu gelernt, meinen Methodenschatz erweitert, und seitdem ich über mein eigenes Institut und in der Zusammenarbeit mit Universitäten auch noch Studien und Assessments durchführe, erlaubt mir das einiges an Zukunfts- und Trendforschung. Zu dieser wie zu meinem Netzwerk haben meine Mentees dann unbegrenzten Zugang. Das unterstützt nochmal mehr bei der Entscheidungsfindung, oft weit über die Karriere hinaus.

Vielen Dank für deine Zeit und deine Offenheit, liebe Johanna!

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