Rund drei Jahre ist das nun her und noch immer hat Grün die Situation vor Augen: „Das hat mich damals total verunsichert“, sagt sie. Dabei wirkt die junge Frau in schwarzem Kleid und hellrotem Mantel ganz und gar nicht wie jemand, der sich leicht aus der Ruhe bringen lässt. Sie hat eine kräftige Stimme, einen wachen Blick und gilt bei Vodafone als Nachwuchstalent. Schon jetzt, mit 32 Jahren, leitet sie ein 37-köpfiges Team im Risk-Management. Die schwierige Präsentation vor ihren Chefs hat Grün dennoch lange beschäftigt. „Zum Glück hatte ich meinen Mentor, mit dem ich die Situation besprechen konnte“, sagt sie.
Einen erfahrenen Partner als Mentor an ihrer Seite zu haben, das wünscht sich inzwischen die große Mehrheit der Berufstätigen. Eine Studie der International School of Management in Hamburg fand 2017 heraus, dass die Erwähnung von Mentoring-Programmen in Stellenanzeigen generell zu positiven Erwartungen hinsichtlich des Unternehmens und seiner Kultur bei Studierenden und Absolventen führt. Und die Personalberatung Robert Walters hat kürzlich bei einer Umfrage unter rund 130 Arbeitnehmern und -gebern festgestellt, dass 71 Prozent der Befragten Mentoring im Unternehmen für wichtig halten. Jedes zweite Unternehmen hatte derartige Programme zumindest für Berufseinsteiger im Angebot. Kein Wunder, versprechen sich Unternehmen von Mentoring-Programmen doch gleich mehrere Vorteile. So haben Rajashi Gosh von der Drexel University und Thomas G. Reio von der Florida International University festgestellt, dass sich sowohl Mentor als auch Mentee dadurch stärker ihrem Unternehmen verbunden fühlen. Zudem gilt Mentoring als wichtiges Instrument für die Karriere- und Nachfolgeplanung.
Prominente Beispiele dafür gibt es genug: So holte sich Facebook-Boss Marc Zuckerberg regelmäßig Rat von Apple-Gründer Steve Jobs. Post-Chef Frank Appel übernahm 2008 den Vorstandsvorsitz der Deutschen Post, nachdem sein langjähriger Mentor und Ex-Vorstand Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung zurücktreten musste. Und Springer-Verlagschef Mathias Döpfner hat seine Freundschaft zur Verlegerwitwe Friede Springer wohl auch nicht geschadet.
Ein genauerer Blick in die Forschung zeigt allerdings auch: Erfolgreiches Mentoring ist bei Weitem kein Selbstläufer. So konnte ein Forscherteam um Lillian T. Eby von der University of Georgia zeigen, dass schlechtes Mentoring Mentees sogar nachhaltig psychologisch schwächen kann – zum Beispiel, weil ein zu dominanter Mentor sie eher verunsichert als selbstbewusster macht. Und Gerhard Blickle, Wirtschaftspsychologe an der Universität Bonn, sagt sogar: „Bisherige Studien zeigen, dass formelles Mentoring, bei dem Unterstützer und Nachwuchs einander zum Beispiel durch ein Unternehmen zugeordnet werden, keine nachhaltigen positiven Karrierewirkungen hat.“
Von Reverse- bis Cross-Mentoring
Mentoren kommen in Unternehmen auf verschiedensten Ebenen zum Einsatz. Frauen-Mentoring etwa soll weibliche Netzwerke in Firmen stärken, um mehr Frauen in Chefpositionen zu bringen. Beim Reverse-Mentoring lernen die Alten im Unternehmen von den Jungen. Zum Beispiel: digitaler zu denken. Und beim Cross-Mentoring tauschen sich Mentor und Mentee über Unternehmensgrenzen hinweg aus. Es gibt Programme, die sich speziell an Trainees und Berufseinsteiger richten, um ihnen den Start im Unternehmen zu erleichtern. Andere Programme helfen sogenannten „High-Potentials“, sich auf Führungsaufgaben vorzubereiten.
Das gilt auch für Caroline Grün, eines der jungen Talente bei Vodafone, wie es dort heißt. Sie habe in den vergangen 1,5 Jahren viel von ihrem Mentor gelernt, sagt die Jungmanagerin. „Vor allem den Perspektivwechsel.“ Nach der schwierigen Präsentation vor ihren Chefs etwa grämte sie sich zunächst im Stillen, sprach dann aber doch mit ihrem Mentor darüber: Andreas Laukenmann, Bereichsleiter Consumer-Marketing, 48 Jahre. Dieser erzählte ihr, es sei ganz normal, unterbrochen zu werden. Vorstände hätten eben wenig Zeit und bräuchten schnell Informationen. Und ihr Ziel, ein neues Budget für ihr Projekt zu bekommen, habe Grün doch erreicht. Für die junge Frau ein Aha-Erlebnis: „Ich war enttäuscht, dass ich keine perfekte Präsentation geliefert hatte – und hatte völlig vergessen, dass ich erfolgreich war!“ Seitdem sehe sie viele Dinge im Job pragmatischer. Auch insgesamt sei sie in ihrem Auftreten durch das Mentoring sicherer geworden. Anfangs alle paar Wochen, inzwischen alle paar Monate holt sich die junge Führungskraft Rat, wenn sie nicht weiter weiß: War es in Ordnung, den Kollegen in einer bestimmten Situation zurechtzuweisen? Soll sie ein Problem im Team direkt ansprechen – oder erst einmal abwarten? Andreas Laukenmann vermittelt Grün das, was Experten intuitives Wissen nennen – Wissen also, das man nicht in Management-Büchern nachlesen kann, sondern das auf jahrelanger Joberfahrung beruht. „Das gemeinsame Reflektieren hat mir sehr geholfen, schnell in meine neue Rolle als Führungskraft hineinzuwachsen“, sagt Grün. Und Laukenmann ergänzt: „Gerade weil wir oft verschieden an Dinge herangehen – Caroline spontaner, ich eher faktischer – ist der Austausch bereichernd.“
Den richtigen Mentor finden
Grün hat ihren Mentor eher zufällig gefunden: Ihre Chefin hatte Laukenmann vorgeschlagen. Sie gingen Kaffee trinken, die Chemie zwischen den beiden Vodafone-Managern stimmte. Viele Firmen aber wollen sich nicht allein auf solche informellen Prozesse verlassen – und werden parallel dazu selbst aktiv. Auch bei Vodafone bekommen etwa Trainees direkt beim Berufseinstieg einen erfahrenen Mentor zur Seite gestellt.
Sehr ähnlich verläuft der Matching-Prozess beim Kölner Spezialchemiehersteller Lanxess. Die potenziellen Trainees werden vor ihrem Jobstart bei einem eintägigen Assessment-Center durchleuchtet. Ihr späterer Bereichsleiter teilt ihnen nach der Zusage dann einen passenden Mentor zu – nicht selten nimmt auch schon der spätere Mentor bereits selbst an dem mehrstufigen Auswahlverfahren teil. Die HR-Abteilung gibt dabei allerdings nur Richtlinien vor – etwa, dass der Mentor nie der direkte Vorgesetzte sein darf und dass ein gewisser Altersabstand gewahrt sein muss. „Wir stellen fest, dass viele der Mentor-Mentee-Beziehungen auch nach Beendigung des Traineeprogramms weiter bestehen bleiben“, sagt Vera Bell, Leitung Talent Community Management beim Spezialchemiehersteller Lanxess – für sie ein Zeichen, dass die Beziehungen gut funktionieren.
Die größte Herausforderung des Matching-Prozesses ist dabei – wie beim Online-Dating –, den perfekten Partner zu finden. Wirksames Mentoring habe sehr komplexe soziale Voraussetzungen, sagt Wirtschaftspsychologe Gerhard Blickle. „Die persönliche Chemie muss stimmen, das Vertrauen langsam wachsen.“ Blickle stellt generell infrage, dass arrangierte Tandems zu einer erfolgreichen Mentoring-Beziehung führen können.
Die Vorhersage, ob zwei Menschen zusammenpassen, fachlich wie persönlich, ist in der Tat alles andere als leicht. Karin Heinzl hat mit „Mentorme“ ein unternehmensunabhängiges Mentoring-Programm gegründet, das sich speziell an junge Frauen richtet. Sie lässt sich bei der komplexen Matching-Frage von Software helfen. Um passende Partner zu finden, füllen bei Mentorme sowohl Mentoren als auch potenzielle Mentees vorab umfangreiche Fragebögen zu ihrer fachlichen Qualifikation, Persönlichkeit und ihren Erwartungen aus. Etwa, ob sie lieber mit ordnungsliebenden, direkten oder harmoniebedürftigen Menschen zusammenarbeiten. Ein Algorithmus unterstützt dann die Mentorensuche. „Beim ersten Treffen ist schnell klar, ob es passt – oder eben nicht“, sagt Heinzl. Fast wie bei der Dating-App Tinder.
Mentorme ist eines von zahlreichen Programmen für Arbeitnehmer, die bei der Mentorensuche nicht von ihrem Unternehmen unterstützt werden. Die Karrieremacher oder Mentor Lane sind weitere Anlaufstellen. Interessierte können sich hier in der Regel über ein Online-Formular anmelden und bekommen dann von den Organisationen einen potenziellen Mentor zugeteilt. Ganz billig ist das allerdings nicht: Bei Mentorme kostet dieser Service je nach Jobstatus zwischen 396 und 576 Euro; bei Mentor Lane ist man ab 750 Euro dabei. Natürlich kann man die Mentorensuche auch auf eigene Faust angehen – zum Beispiel, indem man Vorgesetzte in der eigenen Firma direkt anspricht. Freiberufler können erfahrenere Kollegen aus ihrem Netzwerk oder berufliche Vorbilder fragen. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Sprich: Zunächst verabredet man sich auf einen Kaffee, erklärt dann sein Anliegen und gibt dem Gegenüber Zeit, ein paar Tage darüber nachzudenken. Der Vorteil dieser Herangehensweise ist, dass man großen Einfluss darauf hat, wer der künftige Mentor wird.
Auch Firmen, die sich dafür interessieren, ein Mentoring-Programm aufzusetzen, finden bei Mentor Lane und Mentorme Hilfestellung. Die Deutsche Gesellschaft für Mentoring (DGM) bietet neben vielen Informationen sogar eine Zertifizierung für Mentoring-Programme an. Und Unternehmensberatungen sowie viele örtliche Handelskammern geben ebenfalls Tipps. Einige Handelskammern organisieren sogar eigene Cross-Mentoring-Programme. Gerade für kleinere Unternehmen, für die sich ein eigenes Programm nicht lohnt, ist diese Form des Mentorings attraktiv: Sie stärkt das Arbeitgeberimage, zudem lernen die Mitarbeiter andere Unternehmenskulturen kennen, was neue Anregungen bringt. Gleichzeitig kann es auch für Mentees Vorteile haben, wenn ein Mentor nicht aus dem eigenen Unternehmen kommt. Natalya Nepomnyashcha, Gründerin des Netzwerks Chancen zur Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher, ist seit zwei Jahren als Mentorin für Mentorme tätig. In dieser Zeit hat sie zwei junge Frauen in den Beruf begleitet. Sie sagt: „Gerade ganz am Anfang ihrer Karriere fühlen sich viele wohler, kritische Dinge außerhalb ihrer Firma besprechen zu können.“ Etwa, wenn das neue Arbeitsumfeld nicht so gut passt wie erhofft.
Kriterien für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
Bei Nils Berkemeier kann davon keine Rede sein. Er hat vor rund drei Jahren als Trainee bei Lanxess angefangen und arbeitet nun in der Finanzabteilung des Konzerns. Einen Mentor an seiner Seite zu wissen, habe ihm nicht nur geholfen, schneller Kontakte im Konzern zu knüpfen, sagt er. „Vor allem hatte ich immer die Sicherheit: Wenn irgendwelche Probleme auftauchen sollten, kann ich mich an Simon wenden.“ Berkemeiers Mentor Simon Berheide, selbst erst Mitte 30, hilft gern: „Es macht mir einfach Freude, die Entwicklung jüngerer Kollegen zu begleiten und zu deren Erfolg beizutragen.“
Damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstehen kann, brauche Mentoring allerdings einen klaren Rahmen, sagt Vera Bell von Lanxess. Sie empfiehlt Mentoren und Mentees, sich vor allem am Anfang, alle sechs bis acht Wochen zu treffen und auszutauschen. Im Talentprogramm von Vodafone geht man sogar noch einen Schritt weiter. Dort bekommen Mentoren und Mentees nach einem einführenden Workshop von der Personalabteilung die Vorlage für eine Mentoring-Vereinbarung zugeschickt, also eine Art persönlichen Vertrag. Darin legt das Tandem gemeinsam fest, welche Ziele das Mentoring erfüllen soll –, etwa Kontakte in bestimmte Fachbereiche zu knüpfen oder sich bestimmte Fähigkeiten anzueignen. Zudem sollten Teilnehmer offen über ihre Erwartungen sprechen, rät Talent-Managerin Hanna Eßer. „Was kann der Mentor leisten? Wo gibt es Grenzen? Wie sollte sich der oder die Mentee einbringen?“
„Das gemeinsame Reflektieren hat mir sehr geholfen, in die Rolle als Führungskraft hineinzuwachsen.“
— Caroline Grün Head of Risk Management, Vodafone
Die wichtigste Voraussetzung im Mentoring sei dann, dass sich beide Seiten Zeit nehmen – und der Mentor tatsächlich helfen wolle, sagt Mentorme-Gründerin Heinzl. „Ein Mentor sollte nicht drei Stunden von seinem Lebenslauf erzählen und dann sagen: Mach das genauso.“ Stattdessen gehe es viel darum, zuzuhören und gemeinsam mit dem Mentee die Vor- und Nachteile von Entscheidungen abzuwägen. So entstehe eine Partnerschaft auf Augenhöhe, von der im besten Fall auch der Mentor profitieren könne. Andreas Laukenmann, Mentor von Caroline Grün bei Vodafone, kann das bestätigen. Überrascht sei er gewesen, als seine Mentee ihm das erste Mal erzählte, dass sie sich manchmal fremd fühle als einzige Frau unter Männern in Meetings: „Wieso? Darauf achtet doch keiner“, sagte er damals. Nach diesem Gespräch aber begann er selbst gewisse Details zu beobachten. Sitzen Männer in reinen Männerrunden tatsächlich anders als in gemischten Meetings? Fallen andere Sprüche? „Plötzlich habe ich gemerkt, dass es da tatsächlich einen Unterschied gibt.“ Dieses Mal war der Aha-Moment auf seiner Seite.
Der Erfolg hängt auch vom Mentee ab
Den größten Anteil daran, ob ein Mentoring wirksam ist oder nicht, hat allerdings der Mentee. „Wer glaubt, beim Mentoring alles auf dem Präsentierteller zu bekommen, liegt falsch“, sagt Heinzl. „Es ist die Aufgabe des Mentees, zu definieren, was er oder sie aus einer solchen Beziehung mitnehmen möchte.“ Das gilt insbesondere für Mentees, die sich ihren Mentor selbst suchen. Sie sollten sich zunächst die Frage stellen, was sie von ihrem Mentor überhaupt erwarten: Soll er ihnen fachlich oder persönlich helfen? Welche Kompetenzen, welches Netzwerk sollte er oder sie mitbringen? Welche Ziele will man durch das Mentoring erreichen? Ist der passende Mentor dann gefunden, gilt es auch, die einzelnen Treffen jeweils vorzubereiten, mit konkreten Fragen oder zumindest Themen, die es zu besprechen gilt. Wer die Beziehung zu seinem Mentor ernst nimmt, muss also nicht nur einiges an Zeit, sondern auch an Hirnschmalz investieren.