Wir haben unsere MentorMe Mentor*innen Jessica Spingies und Nancy Meckert zum Interview eingeladen. Beide sind leidenschaftliche Coaches und haben unserer Community vor kurzem bei einem interaktiven Event ihren persönlichen Einblick zum Thema Einstieg ins Coaching Business gegeben. Aufgrund der großen Nachfrage haben wir Jessica und Nancy nun auch nochmal schriftlich interviewt!

Welche Ausbildung/Fortbildung könnt ihr empfehlen? Worauf sollte ich bei der Auswahl des Ausbildungsinstituts bzw. der Zertifizierung achten?

Jessica: Als ich auf der Suche nach einer passenden Ausbildung war, kaufte ich mir das Buch Ich will Coach werden“ von Brigitte Wolter. Ich kann es (unbezahlt) weiterempfehlen. Ich habe geprüft, was mir wichtig ist, wie viel ich investieren möchte und kann, und mit wem ich die Ausbildung absolviere – und mir über das Kursnet der Bundesagentur für Arbeit sowie über Empfehlungen einzelne Anbieter angesehen und Gespräche genutzt. Ich habe mich im Ergebnis für das ARTOP Institut der Humboldt Universität Berlin entschieden – und es nie bereut. Mit einigen Führungskräften aus der Ausbildung habe ich bis heute Kontakt und schätze den fachlichen und persönlichen Austausch zur Coaching-Praxis sehr.

Nancy: Mein Weg war ein ganz anderer. Ich habe mich ursprünglich für eine HR-Management-Ausbildung entschieden und dazu ein Coaching-Modul sowie eine Ausbildung in Systemischer Organisationsentwicklung und eine Trainerausbildung kombiniert. Erst im Lauf der Ausbildung habe ich entschieden, als systemische Coachin, Beraterin, Trainerin und Mentorin zu arbeiten.

Je nachdem, welches Ziel du verfolgst und wieviel du bereits mitbringst, können verschiedene Einstiegspunkte möglich sein. Möchtest du Coaching als Hauptschwerpunkt deiner Selbstständigkeit etablieren, würde ich auch eine umfangreichere Ausbildung an einem renommierten Institut, so wie es Jessica gewählt hat, empfehlen.


Welche Grundvoraussetzungen sollte man fürs Coaching mitbringen?


Jessica:
Coaching ist für mich ein Werkzeug, was jeder Mensch erlernen kann. Unabhängig von der beruflichen Rolle und dem Kontext hilft die Freude an Kommunikation, das Interesse für die Zusammenarbeit mit Menschen und die Fähigkeit, Menschen zu sehen, zu hören, zu spüren und ihnen bei der Klärung ihres Anliegens durch Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen.
Es geht um die menschliche Begegnung verbunden mit professionellen Fragen und Methoden. Wenn du Coaching als Berufung siehst, halte ich die lebenslange Entwicklung als wichtig.

Nancy: Für mich persönlich steckt im Coaching vor allem auch eine spezielle Haltung. Wie begegne ich Menschen, wie groß ist mein Interesse an deren Perspektive auf ihre Realität und wie sehr bin ich in der Lage, diese anzuerkennen und meine eigene zu hinterfragen und ggf. zurückzustellen.


Was waren eure größten Stolpersteine am Anfang und wie gelingt der Start ins Business?


Jessica:
Zunächst kam die Frage, ob ich mich als Coachin selbstständig mache oder Coaching in meiner angestellten Tätigkeit einfließen lasse. Ich entschied mich – dank Vorbildern – für die Gründung von FRAUEN. ZUKUNFT. CHANCEN. und stolperte in die nächste Herausforderung.
Die Positionierung und Sichtbarkeit mit meinen Angeboten in einer Zeit, in denen der Coaching-Markt explodierte und es bereits viele gute Angebote gab.
Ein dritter Stolperstein war für mich die Preisgestaltung und die Schärfung meiner Rolle. Als Angestellte sah ich mich als Dienstleisterin. Zu verstehen, dass ich als Coachin mit Menschen arbeite, die selbst ihre Ziele erreichen und ich sie begleite, das hat eine Weile gebraucht.
Ebenso das Mindset einer Unternehmerin zu entwickeln, dass eine professionelle ganzheitliche Begleitung von Menschen ihren Preis hat, ich wirtschaftliche agiere und einen klaren Rahmen stecke, zu mir und meinen Angeboten stehe und mit Neins auf dem Weg umgehen darf.
Geholfen hat mir eine Begleitung durch eine erfahrene Mentorin, ein Umfeld von Gleichgesinnten, Weiterbildungen und viele Try & Errors. Ich habe mir Zeit gegeben, in die Rolle hinein zu wachsen, Fehler zu machen und mich nicht zu vergleichen. Jeder Weg ist individuell.

Nancy: Neben Positionierung, der Frage wie ich eigentlich an Aufträge komme, welchen Preis ich dafür nehmen kann und sollte, welche anderen rechtlichen und bürokratischen Dinge es zu beachten gibt, war und ist meine Herausforderung immer noch die Vereinbarkeit und gleichzeitig die Abgrenzung von meiner Selbstständigkeit und meinem Privatleben. Da ich für mich und meine Herzensthemen arbeite, fällt es mir besonders schwer auch mal abzuschalten und Freizeit zu genießen, ohne mit den Gedanken im Business zu sein.


Habt ihr Tipps für Coaching als nebenberufliche Tätigkeit bzw. als nebenberuflichen Start?


Jessica:
Ich habe meine Selbstständigkeit nebenberuflich gestartet und hatte drei Herausforderungen:

  1. Mich zeitlich zu organisieren und jede Woche 3-5 Stunden einzuplanen. Zu Beginn investierte ich viel Zeit an den Wochenenden, später musste eine andere Lösung her.
  2. Rollenkonflikte – mein Umfeld reagierte auf meine Teilgründung und beobachte mich genau – es war anfangs schwer für mich, sichtbar zu sein und alle Rollen in Einklang zu bringen.
  3. Meinen hohen Anspruch gerecht zu werden – ich konnte nie so richtig loslegen und mir fehlte das Umfeld von Gleichgesinnten. Ich hatte Angst vor Anfragen, weil ich nicht wusste, wie ich sie noch unterbringen kann, ohne meine Freude, Leichtigkeit und Entspannung zu verlieren.

Mein Tipp: Mach dir klar, wo du hinwillst und erarbeite dir Fokus, Struktur und klare Grenzen. Und konzentriere dich nicht auf viele, sondern immer auf deine eine nächste Klientin. Mir haben zudem zu Beginn Kooperationen mit Coaching-Plattformen und Bildungsanbietern geholfen, so habe ich direkt Geld verdient und konnte mein Marketing entspannter angehen.


Wie gewinne ich Kund*innen? Welche Marketingstrategien könnt ihr empfehlen? Wie werde ich sichtbar, auch wenn ich noch keine Reichweite online habe?


Jessica:
„Was braucht meine Zielkundin heute und wie kann ich für sie da sein?“, diese eine Frage hilft mir bis heute meine Angst vor Sichtbarkeit zu überwinden und für die eine nächste Klientin einen nächsten Schritt zu tun. Sichtbar zu sein, das kannst du auf unterschiedliche Weise. Finde heraus, welche dir und deiner Kundin Spaß macht und erlaube dir deine Reise.
In meinem ersten Jahr verzichtete ich z.B. auf eine Webseite und sprach einfach mit meinem Umfeld darüber, was ich im Coaching mache, wem ich helfen kann und sprach potentielle Kundinnen direkt an. Ich lernte sie kennen, baute Vertrauen auf, sprach mit ihnen über ihre Ziele, Herausforderungen und machte ihnen auf Wunsch ein Angebot. Irgendwann kam eine Webseite, ein Newsletter, ein Buchungsshop und Beiträge in Netzwerken, bei Kooperationspartnern und auf meinem YouTube Kanal dazu. Wichtig ist, deine Ressourcen im Blick zu behalten, dich klar auf 2-3 Wege zu fokussieren und flexibel Neues auszuprobieren.


Welche Netzwerke sind empfehlenswert?


Jessica:
Seit 2019 engagiere ich mich bei MentorMe und im Netzwerk Chancen. Als Mentee und Mentorin gleichermaßen – und kann beide Netzwerke weiterempfehlen. Ebenso hilfreich ist für mich das Alumni-Netzwerk meines Ausbildungsinstitutes ARTOP – dort besuche ich regelmäßig Kolloquien zur Systemischen Beratung und Coaching-Praxis.
Ich höre gern Podcasts, lese Bücher und Fachzeitschriften wie die NEUE NARRATIVE und habe mir ein Google Alert für meine Interessenfelder angelegt.
Ich besuche 1-2 Live-Events und Retreats im Jahr. Ich nutze vereinzelt Mentorings, Coachings und Masterminds mit Frauen, mit denen ich Ziele teile und mich unterwegs unterstütze. Mit der Zeit baust du dir selbst ein informelles Netzwerk mit Menschen auf – und hast eher wieder die Herausforderung es zu priorisieren und deine Ressourcen im Blick zu behalten.
Coaching ist für mich eine anspruchsvolle Energie-Arbeit. Zu meinem Netzwerk gehören deshalb neben Menschen, die mich in meiner Körper- und Energiearbeit unterstützen, natürlich mein Lebenspartner und richtig gute Freunde – auch außerhalb der Coaching-Szene.


Habt ihr auch Tipps für introvertierte Coaches?


Jessica:
Deine Introvertiertheit als deine Stärke feiern. Dich von Erwartungen im Außen zu lösen und deinen eigenen Weg finden, dich auszudrücken und Menschen zu begleiten.
Daran zu glauben, dass es die Menschen gibt, die genau dich und deine introvertierte Art schätzen und sich deshalb für dich entscheiden. Und neue Erfahrungen einladen mit extrovertierten Menschen, die Räume für dich und andere aufmachen. #Diversitymatters
Ich bin vielbegabt und hochsensibel – mir hilft heute mein Leben und Alltag zyklisch zu sehen und mich und meine Bedürfnisse alle gleichermaßen wichtig zu nehmen. Die Selbstständigkeit bietet mir die idealen Rahmenbedingungen – ich entscheide, was ich wann mache und anbiete.


Wie geht ihr mit dem Henne-Ei-Problem um? Klienten möchten Erfahrung, Erfahrung erfordert Klient*innen? Ab wann wird man ernst genommen?


Jessica
: Ich habe mich im Alter von 30 Jahren im Coaching selbstständig gemacht und war bereits in meiner Anstellung Aussagen wie diese gewohnt. Das Wichtigste ist, wie du über dich denkst, es fühlst und nach Außen trittst. Verschaffe deinem Gegenüber einen Überblick über deine Erfahrungen und Kompetenzen und lade sie ein, mit dir zu arbeiten und bringe ein, welche Vorteile das für sie hätte. Und denke daran, dass auch in Gesprächen prüfen darfst, ob du mit dem Menschen zusammenarbeiten möchtest.
Ein Nein bedeutet oft „noch nicht.“, diese Haltung hilft dir, Dinge sein zu lassen wie sie sind. Ebenso dich nicht entmutigen lassen und dich zu fragen: „Wie geht’s noch leichter als jetzt?“ und dann deiner Intuition folgen – es gibt immer einen Weg für dich und deine Ziele.
Einige Coaches starten unentgeltlich – das empfehle ich nicht! Wenn du dir unsicher bist, starte mit einem Honorar und steige dich über die Zeit. So lernst du zu Beginn zu verkaufen.


Es gibt so viele Coaches — wie hebe ich mich von der Masse ab? Wie finde ich meine Nische?


Jessica:
Du hebst dich von anderen ab, indem du dich so zeigst, wie du bist und immer mehr von den Dingen loslässt, die nicht zu dir gehören. Das klingt total einfach, ist es aber nicht. Denn wir alle haben bewusste wie unbewusste Glaubenssätze und Prägungen, die es erst aufzubrechen gilt. Als Coachin bewegst du dich auf einem dynamischen Markt voller Extreme, du beobachtest Entwicklungen und Trends und lässt dich von Vorbildern inspirieren und von ihren Erfolgsgeschichten manchmal auch verunsichern. Ich empfehle dir, deinen authentischen Mittelweg zu finden, dich zu positionieren und statt Strategien permanent zu wechseln, einmal länger an deinem Weg daran zu bleiben und deine Erfolge unterwegs zu sehen und zu feiern.
Deine Nische kannst du selbst definieren oder so wie bei mir, einfach auf deinem Weg herausfinden. In dem du mit möglichst vielen Menschen arbeitest und in der Zusammenarbeit und mit ihrem Feedback herausfindest, bei welchem Problemen du ihnen wie konkret hilfst. Einiges Coaches entwickeln mit der Zeit eigene Methoden und Konzepte, die sie in verschiedenen Coaching-Formaten anbieten. Andere arbeiten sehr individuell und intuitiv.
Wichtig für deine Sichtbarkeit ist, dass Menschen wissen, worum es bei dir geht und wann sie bei dir richtig sind und wann nicht. Wie spitz du dich aufstellst, entscheidest du. Ich beispielsweise entwickle mich schnell weiter und wachse mit meinem Umfeld – sodass ich mich nie spitz aufgestellt habe, sondern einfach das gemacht habe, was mir gerade Freude macht, wobei ich anderen Menschen helfen und mit meinen Stärken unterstützen kann.


Was ist für einen langfristigen und nachhaltigen Erfolg als Coach*in wichtig?


Jessica:
Deine Definition von Erfolg zu schreiben. Und zu wissen, dass du sie ändern darfst.

Nancy: Dich kontinuierlich weiterzuentwickeln, dir deine Erfolge und Meilensteine bewusst zu machen und zu feiern und bestenfalls eine Handvoll Gleichgesinnte, die dich begleiten und mit denen du im Austausch bist zum gegenseitigen Unterstützen, Challengen und Inspirieren.


Wie finde ich den richtigen Honorarschlüssel?


Jessica:
Frage dich, wie viel du verdienen und wie du mit deinen Kundinnen arbeiten möchtest, was in deinem Alltag realistisch ist und gestalte danach dein Angebot und Preis so aus, dass es sich leicht und gut anfühlt.
Hilfreich sind auch Jahresanalysen z.B. von RAUEN, die die marktüblichen Honorare beleuchten. Wichtig ist, welche Haltung du zu deinem Angebot hast und wo du dich mit deinem Wissen, Erfahrungen und Stärken positionierst – im Coaching ist die Preisspanne enorm. Je nachdem, welche Zielgruppe du bedienst und zu welchen Ergebnissen du sie begleitest.
Ich achte darauf, dass meine Honare mich nicht über- und unterfordern und bleibe im Gespräch mit den Menschen offen und flexibel für Lösungen, z.B. Ratenzahlungen. Über das Netzwerk MentorMe begleite ich jährlich eine Frau ehrenamtlich.


Was gefällt euch am besten an eurem Beruf?


Jessica:
Dass ich Menschen individuell dabei unterstützen kann, ihre Ziele zu erreichen und mich mit jeder Begegnung, mit jeder Erfahrung selbst als Mensch und Coachin weiterentwickle.

Nancy: Das Gefühl einen positiven Impact auf den Lebensweg eines Menschen zu haben und der Moment, wenn mein Gegenüber im Sprechen plötzlich die eigenen Lösungen und Erkenntnisse ganz klar vor Augen sieht.

 

Vielen Dank für eure Zeit und Offenheit!

Weitere Interviews mit anderen spannenden Persönlichkeiten aus der MentorMe-Community findest du in unserem Blog. Viel Spaß beim Eintauchen in das, was uns besonders macht.